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Das betriebliche Eingliederungs­management als Vorbereitung einer krankheits­bedingten Kündigung

Nach längerer Arbeitsunfähigkeit muss der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) mit dem betroffenen Arbeitnehmer durchführen. Vorher ist eine Kündigung wegen Krankheit kaum möglich. Wir erklären, was Sie zum BEM wissen müssen.

1. Wozu dient das betriebliche Eingliederungsmanagement?

Die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements soll krankheitsbedingte Kündigungen möglichst verhindern. In diesem Prozess werden alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers herausgearbeitet und darauf untersucht, ob sie den beiden Arbeitsvertragsparteien zuzumuten sind.

2. Wann ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement Pflicht?

Ist ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres insgesamt mindestens 6 Wochen arbeitsunfähig, entsteht die Pflicht des Arbeitgebers zum betrieblichen Eingliederungsmanagement. Dabei ist es egal, ob die Arbeitsunfähigkeit ununterbrochen oder in kürzeren Episoden wiederholt vorlag. Gemeint ist das Jahr als Zeitraum und nicht das Kalenderjahr.

Der Pflicht des Arbeitgebers steht ein Recht des Arbeitnehmers gegenüber. Dieser kann das betriebliche Eingliederungsmanagement einfordern. Das gilt auch bei Erkrankungen, an denen der Arbeitnehmer einen Anteil haben könnte, also beispielsweise auch bei Alkoholismus.

Die arbeitgeberseitige Pflicht besteht zwar auch in Betrieben mit zehn oder weniger Mitarbeitern sowie in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses. Allerdings ist der Arbeitgeber hier auch ohne BEM nicht an der Kündigung gehindert. Es bleibt de facto also bei einer rein formalen Pflicht.

3. Beteiligte im betrieblichen Eingliederungsmanagement

In jedem Fall beteiligt sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer.

Es können weitere Beteiligte hinzutreten:

  • Gibt es eine Arbeitnehmervertretung, also einen Betriebs- oder einen Personalrat, ist dieser im Regelfall einzubeziehen.
  • Ist der Arbeitnehmer schwerbehindert, nimmt die Schwerbehindertenvertretung am Prozess teil.
  • Soweit erforderlich, ist außerdem der Betriebsarzt einzubeziehen.

Der Arbeitnehmer darf bestimmen, ob diese Stellen beteiligt werden.

4. Wie läuft das Verfahren ab?

Zunächst hat der Arbeitgeber dem betroffenen Mitarbeiter das BEM anzubieten. In dieser Einladung sind u.a. zu nennen:

  • Ziele des BEM und die Bedeutung im Zusammenhang mit einer Kündigung
  • Die krankheitsbedingten Fehlzeiten
  • Auf die Freiwilligkeit des Verfahrens ist hinzuweisen
  • Möglichkeit, den Betriebsrat etc. hinzuzuziehen.

Das Gesetz schreibt aufgrund der unterschiedlichen Verhältnisse vor Ort nicht vor, wie das Verfahren abläuft und welche konkreten Maßnahmen in Betracht gezogen werden müssen.

5. Welche Ergebnisse kann das betriebliche Eingliederungsmanagement haben?

Ergibt das betriebliche Eingliederungsmanagement, dass das Beschäftigungsverhältnis mit zumutbaren Maßnahmen erhalten werden kann, muss der Arbeitgeber diese auch umsetzen. Dies können etwa sein:

  • Der Arbeitgeber teilt dem Arbeitnehmer nur noch Aufgaben zu, die dieser auch mit Rücksicht auf sein Leiden erledigen kann.
  • Suche nach leidensgerechten Arbeitsplätzen im Unternehmen (dazu muss der Unternehmer im Zweifelsfall im Rahmen seines Weisungsrechts Aufgaben zwischen anderen Arbeitnehmern so verschieben, dass leidensgerechte Arbeitsplätze frei werden).
  • Schwerbehinderte können unter Umständen verlangen, in die Teilzeitarbeit zu wechseln.
  • Der Arbeitgeber gestaltet den Arbeitsplatz besser aus, z.B. rollstuhlgerecht.
  • Inanspruchnahme gesetzlicher Hilfen und Leistungen der Rehabilitationsträger (z.B. Kranken- oder Unfallversicherung).
  • Zumutbare Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen.

6. Muss der Arbeitnehmer teilnehmen?

Nein. Die Zustimmung und Beteiligung des Arbeitnehmers sind zentrale Voraussetzung des Verfahrens. Ohne seine ausdrückliche Zustimmung dürfen andere Stellen nicht über die Krankheit etc. informiert werden. Verweigert der Arbeitnehmer auch nach ausdrücklicher Aufforderung und ordnungsgemäßer Belehrung jede Beteiligung, endet die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Die Ablehnung des Arbeitnehmers hat unter Umständen zur Folge, dass der Arbeitgeber schneller zur Kündigung greift. Vor Gericht muss dann eher der Arbeitnehmer beweisen, dass er leidensgerecht hätte weiterbeschäftigt werden können. Beteiligt er sich hingegen am BEM, besteht zumindest die Chance, dass die Arbeitsbedingungen sich bessern. Außerdem kann er schwere Mängel am BEM rügen, wenn der Arbeitgeber sich nicht ernsthaft mit Eingliederungsmaßnahmen auseinandersetzt. Dann liegt die Beweislast wieder beim Arbeitgeber.

7. Darf der Arbeitgeber ohne betriebliches Eingliederungsmanagement nicht kündigen?

Das Gesetz sieht erstmal keine Sanktionen vor, wenn der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchführt. Es erhöht sich vor Gericht aber die Darlegungslast des „säumigen“ Arbeitgebers. Der Arbeitgeber muss dann aufwändig beweisen, dass er keine Möglichkeiten hat, den Arbeitnehmer leidensgerecht zu beschäftigen.

Gerichte weisen eine krankheitsbedingte Kündigung erfahrungsgemäß in aller Regel ab, wenn das BEM trotz einer entsprechenden Pflicht nicht durchgeführt wurde.

Ausnahmen bestehen in kleinen Betrieben und den ersten sechs Wochen des Arbeitsverhältnisses (s.o.). Gelegentlich gelingt es dem Arbeitgeber auch ohne BEM zu beweisen, dass offenkundig kein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Das kommt z.B. bei besonders schweren Krankheiten in Betracht, die jede Arbeit unmöglich machen.

8. Wann kann nach dem betrieblichen Eingliederungsmanagement gekündigt werden?

Das hängt vom Ergebnis ab:

Eingliederungsmaßnahmen sind möglich

Kommt man im BEM zu der Übereinkunft, dass Maßnahmen zur Eingliederung möglich sind, müssen diese umgesetzt werden. Vorher ist eine krankheitsbedingte Kündigung nahezu ausgeschlossen.

Sie ist erst wieder realistisch, wenn die Maßnahmen gescheitert sind oder der Arbeitnehmer nicht kooperiert. Lehnt er nämlich alle Maßnahmen trotz Kündigungsdrohung ab, rückt die krankheitsbedingte Kündigung deutlich näher. Der Arbeitgeber kann nun deutlich leichter aufzeigen, dass der Mitarbeiter auch künftig nicht ausreichend eingesetzt werden kann.

Keine Eingliederungsmaßnahmen möglich

Ist das Ergebnis des betrieblichen Eingliederungsmanagements dagegen, dass keine zumutbaren Maßnahmen das Beschäftigungsverhältnis retten kann, steht der Weg zur Kündigung wegen Krankheit offen.

Das heißt allerdings nicht, dass der Arbeitgeber in jedem Fall kündigen kann. Die Kündigung bleibt das letzte Mittel, welches nur bei erheblicher Störung der Interessen des Arbeitgebers möglich ist. Trotzdem ist nach der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements mit negativem Ergebnis eine erfolgreiche krankheitsbedingte Kündigung wahrscheinlich. In aller Regel sind die Gerichte nämlich nach einem gescheiterten BEM davon überzeugt, dass die Weiterbeschäftigung auch in Zukunft nicht zufriedenstellend möglich ist.

Die Kündigung kann aber z.B. noch an diesen Gesichtspunkten scheitern:

Beispiel: Ein Arzt attestiert, dass das Grundleiden des Arbeitnehmers geheilt ist und künftig keine überdurchschnittlichen Fehlzeiten mehr verursachen wird.

9. Fazit

  • Ziel des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist die Verhinderung einer krankheitsbedingten Kündigung. Es sollen Bedingungen geschaffen werden, unter denen der Arbeitnehmer weiterarbeiten kann.
  • Meistens ist der Betriebs-/Personalrat zu beteiligen, u.U. sind zudem die Schwerbehindertenvertretung sowie der Betriebsarzt hinzuzuziehen.
  • Ohne betriebliches Eingliederungsmanagement kann der Arbeitgeber wegen der Krankheit in aller Regel nicht kündigen.
  • Gibt es keine zumutbaren Mittel für eine Weiterbeschäftigung, steht der Weg zur personenbedingten Kündigung offen. Sie ist für den Arbeitgeber erleichtert, aber kein Automatismus.